PresseProjekte

Hüseyin Akin: Aus der Türkei stammende Basler Bürger setzen auf demokratische Mitsprache

Migrantenvereine machen Politik

Aus der Türkei stammende Basler Bürger setzen auf demokratische Mitsprache

TIMM EUGSTER

Illegale Kurden-Demos hat es in Basel seit über drei Jahren nicht mehr gegeben. Dafür werden kurdische Organisationen zu einem Faktor in der Basler Politik.

Die Freude der Gewinner ist gross – und verleitet zu euphorischen Statements. «Basel ist eine hervorragende Stadt», schwärmt Mehmet Kabakci, mit Spitzenresultat frisch gewählter SP-Bürgergemeinderat (siehe Seite 1): «Die Basler wählten uns, und beim Partnerschaftsgesetz haben wir den höchsten Ja-Anteil der Schweiz!» Nein, er wolle nie mehr weg von Basel, auf gar keinen Fall. Die hiesige Bevölkerung und Politik öffneten sich gegenüber Migranten, «das ist wahnsinnig gut» – und die kurdischen respektive türkischen Vereine öffneten sich ihrerseits.

Gewählt sind auf der SP-Liste mit Mehmet Kabakci, Eda Ilkhan, Mehtap Tosun, Ali Göktas und Mehmet Turan fünf kurdischstämmige Basler – zwei Migranten auf der SVP-Liste hingegen landeten auf den letzten Plätzen. Ihre Volkszugehörigkeit ist nicht erstaunlich, stammt doch ein grosser Teil der türkischstämmigen Basler Bevölkerung aus Anatolien und ist kurdisch. Ausserdem sind Kurden, die in der Türkei nicht als eigenes Volk anerkannt sind und deren Sprache und Kultur immer noch unterdrückt werden, sehr politisiert. Trotzdem ist laut SP-Präsident Beat Jans nicht damit zu rechnen, dass Positionen und Haltungen der umstrittenen kurdischen Arbeiterpartei in die Basler Politik einfliessen werden: «Die Gewählten waren nie Mitglieder der Kurden.» Ausserdem sagt Hüseyin Akin, Dokumentarfilmer und ehemaliger Präsident der SP-Sachgruppe Migration: «Die kurdischen Organisationen haben sich in Basel sehr stark liberalisiert.» Es habe ein intensiver Dialog und Generationenwechsel stattgefunden. Dies bestätigt der Integrationsdelegierte Thomas Kessler: Schutzgelderpressungen hätten stark abgenommen, illegale Demos habe es in letzter Zeit nicht mehr gegeben. «Wer undemokratische Werte vertritt, tut dies im Untergrund – wer sich öffentlich demokratisch exponiert, trägt zur Integration bei», so Kessler.

Liberal. Etliche der Gewählten sind ausserdem Aleviten – eine liberale Strömung des Islam, die in der Türkei ebenfalls eine Minderheit darstellt. Aleviten tragen keine spezielle religiöse Kleidung, lehnen die Scharia, das islamische Gesetz, ab und kennen im Unterschied zu den Sunniten keine Pflichtgebete. Der Koran ist für Aleviten kein Gesetzbuch, sondern die Niederschrift von Offenbarungen, die kritisch gelesen werden dürfen. Offiziell unterstützt worden sind die Kandidierenden unter anderem vom Alevitischen Kultur zentrum, der Kurdischen Vereinigung, der Migrantenverein-Dachorganisation Vita, dem kurdischen Sefkan-Kulturzentrum und der Basler Tscherkessen.

Geworben und Stimmen erhalten haben dürften die Kandidaten aber auch von sunnitischen Moscheegängern. «Wir hatten Kontakt mit der Dachorganisation der Muslime», sagt Kabakci. Hüseyin Akin, der die Kandidaten im Wahlkampf unterstützt hatte, ist überzeugt, dass auch Sunniten und türkisch-nationalistisch Denkende den kurdischstämmigen Kandidaten ihre Stimmen gegeben haben: «Wenn es um türkische Politik geht, bringt man die Leute nicht zusammen – wenn es um konkrete Interessen ihrer Kinder geht, um Probleme in der Schule, mit Gewalt oder Drogen, hingegen schon.» Kessler erstaunt dies nicht: «Nicht die Ideologie steht im Vordergrund, sondern die persönliche Beziehung, die im Wahlkampf aufgebaut wird.» Und da hätten die Kandidaten mit ihrer intensiven Tour durch die Vereine gute Arbeit geleistet: «Das sind Chrampfer und Problemlöser – sie geben ihre Feierabende her, klären auf, schaffen Vertrauen.»

EINBÜRGERUNGEN. Die Gewählten sehen sich nicht ausschliesslich als Vertreter der Migranten: «Ich vertrete alle Basler Bürger und habe dazu als Migrant eine Vermittlerrolle zwischen den Kulturen», sagt Ali Göktas, interkultureller Mediator und Erziehungsassistent in einem Sonderschulheim. Doch was wollen die Gewählten konkret erreichen? Dazu sind die Aussagen noch unverbindlich. «Ich muss jetzt zuerst lernen, wie der Bürgergemeinderat genau funktioniert», so Göktas. «Noch ist vieles neu», sagt auch Mehtap Tosun. Wollen sie vor allem Einbürgerungen liberalisieren, wie es in politischen Kreisen zum Teil heisst? – «Nicht jeder Ausländer soll Schweizer werden», stellt Tosun klar: «Aber wer hier bleiben will, Deutsch lernt und die europäische Kultur akzeptiert, soll eingebürgert werden können.» Gewisse Fragen in Einbürgerungsgesprächen findet Göktas hingegen nicht sehr sinnvoll. Er wurde beispielsweise gefragt: «Wo liegt der tiefste Punkt Basels?» Sein Glück: Er wohnt in Kleinhüningen …

Neue Gesichter. Mehmet Kabakci, Eda Ilkhan, Mehtap Tosun und Ali Göktas. Foto Tino Briner

İlgili Makaleler

Başa dön tuşu
error: Content is protected !!